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Die kalte Hand des Todes

Mitte des Monats war der Winter, der zu dieser Zeit eigentlich eisig sein sollte, zu warm, brachte zu früh Millionen Schneeglöckchen zum Blühen. Aufgestellt wie kleine Soldaten, in einer Vorfrühlingsarmee, haben sie sich durch dunkle Erde gekämpft. Stark und trotzig, Gevaterchen Frost verlachend, strecken sie sich nun der Sonne entgegen. Sie wollen den Frieden auf der Welt beläuten mit ihren weißen Glockenköpfchen, glauben, die Menschen in ein neues Frühjahr begleiten zu können.

 

Die Armee der Schneeglöckchen steht kräftig im Saft. Sattgrün und schneeweiß sind sie Boten des ewig sich erneuernden Jahreskreises. Sie jubeln, sie kreischen, sie freuen sich, andere Frühblüher begrüßen zu können. Endlich sind sie wieder erwacht, bevölkern die Wiese, die lange Zeit in Tristesse versank. Endlich haben sie den großen Schlaf hinter sich gelassen, blühen für alle Lebewesen auf dieser Welt, wollen mit ihrer guten Laune andere beglücken, andere erwecken.

 

Doch, ach, der Weltenwarner meldet sich zu Wort, richtet sich an die tapferen weiß behuteten Grünlinge, warnt vor Übermut und einem frühen Tod. Er bittet eindringlich, nicht voreilig etwas zu bejubeln, das noch nicht greifbar ist. Und sie lachen und freuen sich, dass da einer ist, der mit ihnen spricht, und weitere Glöckchen kommen aus der Erde.

 

Da steht er. Am Horizont erscheint eine Gestalt, die Gevater Frost gleicht. Die Kälte kehrt zurück, vernichtet, was so fest im Leben verankert schien. In einer Nacht ist verwelkt, was wochenlang blühen wollte. Der Schnitter hat sein Werk vollbracht. Der Schnitter kam, mit Umhang und Sense, hat sich geholt, was zu früh jubelte, hat in die Himmel befördert, war eben erst zum Leben erwachte.

 

Gedankenwende - Am 24. Februar, morgens kurz vor 7 Uhr, fuhr ich zur Arbeit. Die Sonne war gerade am Aufgehen, streckte die ersten Strahlen in den noch dunklen Himmel. Sie erhellte, was kurz vorher noch im Dunkel gelegen hatte, in sattem Rot. ‚Bluthimmel‘, dachte ich und das Herz zog sich mir zusammen. Eine Intuition zeigte mir Bilder von bevorstehendem Blutvergießen. Ich wusste, die Ukraine wurde seit dieser Nacht angegriffen.

 

Gedankenwende - Ich gehe durch den Buchenwald und bin unglaublich traurig. Überall dort, wo einst groß und stark meine Freunde standen, sind nun Lücken. Die Bäume sterben und keinen interessiert diese Tatsache.

Textfassung aus Des Knaben Wunderhorn

 

Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,

Hat Gewalt vom höchsten Gott,

Heut wetzt er das Messer,

Es schneidt schon viel besser

Bald wird er drein schneiden,

Wir müssens nur leiden.

Hüte dich schöns Blümelein!

 

Was heut noch grün und frisch da steht,

wird morgen schon hinweggemäht:

Die edlen Narzissen,

Die Zierden der Wiesen,

Die schön’ Hyazinthen,

Die türkischen Binden.

Hüte dich schöns Blümelein!

 

Viel hundert tausend ungezählt,

Was nur unter die Sichel fällt:

Ihr Rosen, ihr Liljen,

Euch wird er austilgen

Auch die Kaiser-Kronen,

Wird er nicht verschonen.

Hüte dich schöns Blümelein!

 

Das himmelfarbe Ehrenpreis,

Die Tulipanen gelb und weiß,

Die silbernen Glocken,

Die goldenen Flocken,

Senkt alles zur Erden,

Was wird daraus werden?

Hüte dich schöns Blümelein!

 

Ihr hübsch Lavendel, Rosmarein,

Ihr vielfärbige Röselein,

Ihr stolze Schwertliljen,

Ihr krause Basiljen,

Ihr zarte Violen,

Man wird euch bald holen.

Hüte dich schöns Blümelein!

 

Trotz! Tod, komm her, ich fürcht dich nicht,

Trotz, eil daher in einem Schnitt.

Werd ich nur verletzet,

So werd ich versetzet

In den himmlischen Garten,

Auf den alle wir warten.

Freu dich du schöns Blümelein.