Ein neues Jahr hat begonnen. Die ruhige Zeit, wir leben immer noch im Lockdown, hat mich in mich gehen lassen. In den Rauhnächten habe ich intensiv meine Vergangenheit betrachtet, hänge in der Gegenwart fest, die Zukunft kann ich nur erahnen.
Urd, die Norne der Vergangenheit hat mich unter ihre Flügel genommen und mich zurückgeführt. Ich sehe Bilder, wie ich das Schreiben lerne. Und ich sehe, noch in den Kinderschuhen steckend, dass ich schreibend mein Geld verdienen möchte. Ich sehe, dass ich die Menschen schreibend auf Dinge aufmerksam machen will, die nicht gut sind, nicht in Ordnung. Ich erkenne das Weltgeschehen. Ich sehe mich als Jugendliche, die sich schrecklich viele Gedanken um die Umwelt macht. Klimaerwärmung und Massentierhaltung, Jägerei und Artensterben sind die ganz großen Themen, die mich in dieser Zeit beschäftigen, und ich sehe mich, wie ich mich schreibend dagegen auflehne.
Verdandi, die Norne der Gegenwart, zeigt mir, was aus mir geworden ist, wie wenig ich von meinen Träumen aus Kindertagen realisieren konnte. Ich schreibe, ja, das ist mir geblieben, ich beschreibe Autos, LKWs, Maschinen. Doch es ist nicht das Schreiben, das ich immer wollte, es kann höchstens eine Vorbereitung sein auf das, was noch kommen wird. Die Norne zeigt mir aber auch, dass noch Jahrzehnte vor mir liegen, in denen ich alles erreichen kann, wenn ich das nur will. Da ist mein erster Roman ‚Viktor, Vertrauter‘. Der Anfang eines Feldzugs gegen die Unmenschlichkeit. Sie entlässt mich aus der Gegenwart und schickt mich in die Zukunft.
Skuld nimmt mich mit offenen Armen entgegen. Das erste, was sie macht, ist, mir ein Lied vorzuspielen, dass mich in meiner frühen Erwachsenenzeit sehr bewegt hat, das mir eine Zeit lang eine Richtung in meinem sprunghaften Wesen war. Es ist das Lied ‚Russians‘ von Sting. Ich schaue mir das Video auf Youtube dazu an. Tränen treten aus meinem kalten Herzen, bahnen sich einen Weg über die Augen, tropfen auf die Bluterde, versickern in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
[Verse 1]
In Europe and America
There’s a growing feeling of hysteria
Conditioned to respond to all the threats
In the rhetorical speeches of the Soviets
Mr. Khrushchev said we will bury you
I don’t subscribe to this point of view
It would be such an ignorant thing to do
If the Russians love their children too
[Verse 2]
How can I save my little boy
From Oppenheimer's most deadly toy
There is no monopoly of common sense
On either side of the political fence
[Chorus 1]
We share the same biology
Regardless of ideology
Believe me when I say to you
I hope the Russians love their children too
[Verse 3]
There is no historical precedent
To put the words in the mouth of the president
There’s no such thing as a winnable war
It’s a lie we don’t believe anymore
Mr. Reagan says we will protect you
I don’t subscribe to this point of view
Believe me when I say to you
I hope the Russians love their children too
Gefühle, die längst verloren geglaubt schienen, tauchen aus der Tiefe der Versteinerungen auf. Alles löst sich in mir. Die Verknotungen, Verstrickungen, die ich mir in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil selbst zugefügt hatte, mir aber auch durch andere Menschen zugefügt wurden, werden sichtbar. Skuld, die weiterhin meine Hand hält, ermutigt mich, den Weg von damals zu gehen. Der frühere Weg, Urds Weg, ist nun wieder präsent, ruft mich. Mutter Erde ruft nach mir. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, ein dichtes sinnhaftes Gewebe, das mir immer die Richtung vorgab, ist nun lichter denn je. Ich weiß plötzlich, dass ich nicht mehr wegblicken kann, was die Menschen anrichten. Sie haben verwüstet und hören nicht damit auf. Ich weiß, wir werden uns selbst vernichten, und ich weiß, mein Körper geht in dieser Vernichtung mit unter, aber die Seele ist frei. Die Seele weiß, dass sie versucht hat, den Untergang aufzuhalten. Die Seele ist ewig.