oder die Tragödie einer Überschwemmung
Unglaublich viele Menschen leugnen noch immer, dass sich das Klima verändert, und zwar rasant. Die ersten Ergebnisse des Forschungsschiffs Polarstern liegen vor, die, ich drücke es unfachmännisch aus, eine reine Katastrophe darbieten. Wissenschaftler sind sich sicher, dass die Arktis 2035 schon eisfrei sein könnte. Mhmmm…das sind noch 14 Jahre bis dahin.
Die Menschen winken ab, als ich mit ihnen darüber reden möchte. Mir tut dieses Ergebnis schrecklich weh. Die Menschen erklären mir gelangweilt, nicht bereit, sich in das Thema zu denken, weil die Arktis weit weg ist und für einen Urlaub derzeit nicht taugt. „Was schert uns die Arktis, was scheren uns Eisbären, die es nicht mehr gibt, dann bilden sich eben andere Tierarten aus, das nennt sich Evolution. Und außerdem kann die Arktis zur Förderung neuer Bodenschätze genutzt werden, eigentlich ein Segen, wenn man endlich an die seltenen Erden kommt. Öl und Gas sind doch auch reichlich vorhanden, oder verwechseln wir das?“ Sie bedenken nicht, dass von abschmelzendem Eis sich die Meeresspiegel heben. Hiervon ist Deutschland auch extrem betroffen, denn die Halligen im Norden verschwinden, eventuell auch Festlandgebiete. Ich schlucke, als ich das höre.
Erst kürzlich habe ich gelesen, dass, bedingt durch Corona, die Akzeptanz für Umwelt- und Klimaschutz schrumpft, und zwar dramatisch. Artenschutz war, so habe ich das Gefühl, sowieso noch nie ein Thema. Der Mensch wurde, seit Corona ausgebrochen ist, stark in den ihm lieb gewonnen Aktivitäten, sprich, im Verreisen und Partiemachen, im Konsumieren eingeschränkt und nun hat er Nachholbedarf. Kaum sinkt die Inzidenz, bucht der Mensch, der Egoist, was er erwischen kann. Erinnern Sie sich noch an den streifenfreien blauen Himmel vor einem Jahr? Das ist vorbei. Kondensstreifen gehören längst wieder zu unserem Alltag, so wie sich das Geschwätz von Rückreisenden anzuhören.
Ich sehe die Veränderung meiner Umwelt kritisch. Ich bin ein Kind der Natur, ich kann die Zeichen noch lesen, die zu verstehen geben, wie krank unsere Flora und Fauna, aber auch wie bedroht die Wildtiere sind. Ich fühle mich oft schrecklich allein in meiner Kenntnis und dieser Veränderung.
Am vergangenen Wochenende schlug der Klimawandel bei meiner Familie, bei meinen mir lieb gewonnen Nachbarn aus Kindertagen brutal zu. Extremwetter nennen sich die starken Regenfälle in unseren Tage. Extremwetter, die dem Klimawandel geschuldet sind. Unsere derzeitigen Hochwasserrückhaltebecken sind auf sintflutartige Niederschläge nicht ausgelegt und so kam es zur schlimmsten Überschwemmung, die ich an diesem harmlos mutenden Bach, an dem ich 30 Jahre meines Lebens verbrachte, bisher erlebte. Eine Steigerung ist dennoch jederzeit möglich, dessen bin ich mir sicher, da wir erst am Anfang des Wetterwandels stehen.
Mein Elternhaus wurde von einer Heftigkeit getroffen, die schreckliche Verwüstungen anrichtete. Wenn ich von meinem Elternhaus spreche, möchte ich die vielen anderen Häuser, die es an diesem Bach, in dieser Nacht genauso getroffen hat, mit einbeziehen. Das Wasser kam, riss alles mit sich, was nicht fest im Boden verankert war, lief in die Keller, in die Wohnzimmer, und sie traf meine Familie und viele mir bekannte Menschen mit voller Wucht. Heizöltanks stürzten um, Öl lief aus, wurde mitgetragen von der reißenden Flut, Autos schwammen, Treibholz, sprich Baumstämme zerschlugen Brücken. Am Ende dieses Schreckensauftritts zog sich das Wasser, das auf unserem Grundstück einen Pegel von 1,50 m erreichte, zurück, schmiegte sich wieder in sein kleines Bachbett, was blieb, war ein riesiger Haufen Trümmer aus mühsam erschafften Arbeitsleben. Tränen flossen nicht, der Schock lähmte die Menschen. Der Schock lähmte mich, als ich die Verwüstung sah.
Die Feuerwehr pumpte die Keller leer, der Schlamm stand bis zu 40 cm auf den Kellerböden, in Wohnzimmern, auf den Geländen. Manche Menschen zogen sich, als die Feuerwehr abrückte, in ihre Trümmer zurück, unfähig, die Zerstörungen zu beseitigen. Meine Familie krempelte die Ärmel hoch. In zwei Tagen hatten wir das Haus fast vollständig vom Schlamm befreit. Nun folgt auswaschen, das Zerstörte erneuern, das Haus neu verstromen, Waschmaschinen, Kühlschränke, die Heizung ersetzen, es trocknen. Manche Dinge sind unwiederbringlich verloren, leben höchstens in unseren Erinnerungen weiter. Doch wenigstens haben wir die Erinnerungen daran. Sie wurden nicht vom Wasser ausgelöscht.
Mitten in der Beseitigung des Schlamms fanden sich die ersten Hobbyfotografen ein. Frech und unverschämt, sich an unserem Elend weidend, freuten sie sich über jedes Sensationsfoto, das sie schießen konnten, je schlimmer, desto besser. Schaulustige kamen, gafften. Bedauern? Hallo Leute, ist denn keiner unter euch, dem wir vielleicht leid tun? Der die Ärmel hockkrempelt und uns helfen möchte? Fehlanzeige. Die Menschen ließen sich hinreißen, Worthülsen von sich zu geben: „Die Versicherung zahlt euch bestimmt einen Teil. Seid froh, dass das Haus noch steht, es hätte schlimmer kommen können.“ Sonntagskleidträger, die sich ihre Schuhe mit Schlamm schmutzig machten, gaben geistigen Müll zum besten. Mir war fürchterlich schlecht, nicht, weil ich das Elend, das das Hochwasser angerichtet hatte, nicht verkraftet hätte, nein, mir war fürchterlich schlecht wegen der Menschen, die in der Katastrophe ihre Sensationsgier befriedigten, auf unsere Kosten. Eine Treibholzsammlerin stapfte zwischen Trümmern, Schlamm, Treibgut, stand vor unserem Hof, wühlte in dem, was die Flut angeschwemmt hatte, suchte nach Stöcken. Magischen Treibgutstücke? Sie wurde gefragt, ob sie nicht, statt Stöckchen zu suchen, uns lieber helfen wollte? Sie verneinte das und kümmerte sich weiter um das Treibgut.
Vielleicht gibt es auf dieser Welt einen Menschen, der mir erklären kann, warum sich meine Mitmenschen so verhalten, wie sie sich verhalten? Traut euch, eure Meinung abzugeben. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen anders denken, gleich oder ähnlich denken wie ich, dass sie sich aber, wie ich auch, lieber vor den Menschen zurückziehen, statt laut Mitgefühl und Einfühlungsvermögen zu fordern.
Ich würde mich freuen, von euch zu hören, eventuell auch an euren Meinungen zu lernen. Vielleicht bin nur ich fehlgesteuert und muss die Menschen gelassen so nehmen, wie sie sind, statt mich angeekelt von ihnen abzuwenden.