Heute schlage ich ein neues Kapitel im Buch der verschwundenen Igel auf. Schon seit Längerem bin ich nervös, weil ich überhaupt nichts mehr von meinem Umweltschutzkommissar höre. Ich denke oft an die kleinen Stachelritter, und nach wie vor tut mir der Gedanke daran, dass sie nicht mehr sind, unendlich weh.
Die Sonne taucht aus dem tiefen Grau des Himmels auf, erhellt und erwärmt den sehr kalten Tag und es zieht mich nach draußen. Ich nehme mir ein Buch, das ich angefangen habe zu lesen, mit auf den Balkon und vertiefe mich in die Seiten.
Es ist ungefähr 15.30 Uhr. Ein Mann pöpelt mich an. Ich blicke erschrocken auf und erkenne trotz der Lesebrille, die mir zwei Personen nur schemenhaft zeigt, meine Nachbarn, die Igelmörder. Sie stehen vor der Hecke, die meinen Garten eingrenzt.
Tagebuchausschnitt:
Er (brüllt): „Warum haben Sie uns bei der Polizei angezeigt, Igel vergiftet zu haben?“
Ich bin total verdutzt. Es herrscht kurz Stille. Doch ich erhole mich schnell von dem Schrecken. Brüllende lärmende Menschen kann ich nicht brauchen.
Ich (ganz ruhig): „Ich habe Sie nicht angezeigt, Igel vergiftet zu haben, ich habe die Polizei informiert, dass hier viele Igel verschwunden sind und ich mir sicher bin, dass Sie sie weggeschafft haben.“
Beide gucken sich kurz an, sind leicht irritiert über meine Aussage. Doch dann holt die Nachbarin Luft und fährt brüllend fort.
Sie: „Das ist ja wohl das Allerletzte. Das ist der Hammer.“
Er (zittrig, laut): „Ich habe sogar Laubhaufen für die Igel gemacht.“
Meine Vermutung ist bestätigt, dass die vielen Igel auf seinem Grundstück zum Teil ihre Nester hatten, bravo, er hats zugegeben. Und nun, da eine Gartenhütte gebaut wurde und die Tiere einfach störten, wurden sie auf gute alte Art entsorgt. Ein Schuldgeständnis, das mir sehr gut tut.
Jetzt folgen Gebrüll und Beschimpfungen, die ich nicht wiedergeben möchte.
Die beiden werden wieder ruhiger, weil ich überhaupt nicht reagiert habe. Ich weiß nicht, was die Polizei den beiden über den Verdacht, dass die Igel vergiftet wurden, erzählt hat. Vielleicht zitieren die zwei Verbrecher jetzt auch nur mein Plakat, dass ich im August aufgehängt habe, deshalb gehe ich auf das Gift auch nicht ein.
Er (ganz ruhig, ein bisschen hinterlistig): „Woher wollen Sie überhaupt wissen, dass Igel vergiftet wurden?“
Ich (ruhig): „Das weiß ich nicht. Aber ich habe blaue Körnchen um die Futterstellen der Igel gefunden und eingeschickt zur Analyse.“
Wieder verschlägt es den beiden die Sprache.
Ich (nun doch aufgewühlt): „Ich habe einiges mitbekommen, wie ihr über mich geschimpft habt, mich anzeigen wolltet, und was ihr über die Igel gesagt habt. Das habe ich der Polizei weitergeleitet.“
Er (nervös): „Was haben Sie gehört?“
Alles, du Vollidiot... das habe ich aber nicht gesagt...
Ich sage nichts dazu. Ich möchte mich nicht verplaudern, habe ich doch schon bereut, ihnen von den blauen Körnchen erzählt zu haben.
Sie (brüllt wieder): „Man geht doch zuerst zur Nachbarschaft statt zur Polizei.“
Er (schneidet ihr das Wort ab, ist laut): „Und, haben Sie ein totes Tier gefunden?“
Ich (wieder ganz ruhig): „Nein, ich nicht…“ Ich möchte eigentlich noch hinzufügen, dass ja vielleicht ein anderer doch ein totes Tier gefunden hat, werde aber dann total emotional und beginne selbst, laut zu werden „Hier ist ein riesen Schaden entstanden. Die Tiere hatten großteils Nester. Die Jungen sind alle verhungert. Erklären Sie mir, was mit den Igeln passiert ist. Sie sind alle in einer einzigen Nacht verschwunden.“
Die beiden erschrecken und schauen mich mit dummen Minen an. Die hellsten sind sie nicht, die beiden und plötzlich wird mir klar, dass sie sich um Kopf und Kragen reden würden, könnte man ein bisschen Druck auf sie ausüben.
Sie (brüllt, dass es halb Wilferdingen hören muss): „Die gute Nachbarschaft können Sie vergessen.“
Ich (ganz gelassen, habe mich wieder unter Kontrolle): „Ist ok.“
Wir hatten nie eine gute Nachbarschaft. Das ist das allererste Mal in über 20 Jahren, dass die beiden mit mir reden. Also, ja, es ist ok, dass wir nun keine guten Nachbarn mehr sind.
Sie drehen sich ab und laufen Richtung Radweg. Sie sprechen miteinander. Da sie mir aber den Rücken zuwenden, verstehe ich nicht, was sie sagen. Doch als sie in den Radweg einbiegen, bekomme ich einen Satz mit.
Sie (aufgeregt zu ihrem Mann sprechend): „…dann hat sie uns wohl belauscht.“
Ich (brülle ihnen nach): „Das habe ich jetzt auch gehört.“
Sie (etwas verdutzt, dass ich das gehört habe, kleinlaut): „Sie sollten das auch hören.“
Ich schreibe dem Kommissar, was sich ereignet hat. Er antwortet mir, dass der Fall bei der Staatsanwaltschaft liegt, wir aber wahrscheinlich keine Chance auf einen Prozess haben.
Da ich von der Norne Skuld noch beflügelt bin, weiß ich intuitiv, dass ich, sollte der Fall abgelehnt werden, ich noch nicht am Ende meines Igelwegs bin. Ich kann noch nicht loslassen.
Wir brauchen beide einen Abschluss, die Igel, deren Tod so sinnlos war, aber zukünftige Generationen besser beschützt werden müssen und ich, den Weg der Öffentlichkeitsarbeit gehen müssend.