Neulich war ich im Theater. Auf dem Programm stand ‚Das Bildnis des Dorian Grey‘. Ich hatte schon vor vielen Jahren das Buch von Oskar Wilde gelesen und mir zwei Verfilmungen dazu angeschaut. Als einem meiner Lieblingsautoren hatte ich vor vielen Jahren in Dublin und London verschiedene Wirkstätten von ihm besucht. Nun war ich neugierig auf die Umsetzung des Stücks für die Bühne.
Die Romantik, in der das Stück entstand, war, seit ich mich zurückerinnern kann, immer meine persönliche Lieblings-Kunst- und Literaturepoche gewesen. Ich hatte mich schon als kleines Mädchen in diese Zeit hineindenken und versetzen können, hatte mich darin bewegt und geträumt. Somit setzte ich große Erwartungen in das Stück. Den Geist der damaligen Zeit musste es widerspiegeln. Düster sollte es rüber kommen, ganz im Sinn seiner Schreibkollegen E.T.A. Hoffmann, William Wordsworth, George Gordon Noel Byron, John Keats oder Percy Bysshe Shelley. Ich wollte die Schwestern Brontë fühlen, die so herrlich trübsinnig, gleichzeitig sehr einfühlsam und hochgebildet geschrieben hatten in ‚Jane Eyre‘ oder ‚Die Sturmeshöhe‘. ‚Die Elexiere des Teufels‘ mussten für mich greifbar werden. Edgar Allan Poe sollte mir mit eisiger Hand mein Herz berühren. Robert Burnes wollte ich in Dorians leidenschaftlichen, später immer kälter werdenden Reden wahrnehmen.
Der Vorhang schwenkte auf die Seite, gab ein Bühnenbild frei, das ganz nach meinem Geschmack ausfiel. Es war genau, wie ich es mir gewünscht hatte, düster. Schon nach einigen Minuten, in denen brilliante Schauspieler ihre Texte mit
angenehmen Stimmen zum Besten gaben, war ich überzeugt von dem Stück, der
Sprache, seiner Stimmung, die ich wahrnahm, quasi greifen konnte. Fasziniert
und geblendet von Dorian Grey, dem schönsten Schauspieler, den ich jemals auf
einer Bühne gesehen hatte, an seinen vollen roten Lippen klebend, bemerkte ich
erst nicht, wie das Publikum unruhig zu flüstern begann. Nach einer knappen
Stunde drang das Gemurmel auch an meine Ohren, allerdings nicht ahnend, was der
Anlass so vieler flüsternder Menschen war.
Pause. Der Vorhang bedeckte die Bühne.
Ich stand am Theatereingang, um ein wenig Ruhe vor den Publikumsmassen zu haben, atmete tief die frische kühle Abendluft ein. Ein paar Leute verließen das Theater. Erstaunt schaute ich ihnen nach, nicht verstehend, wie man ein so ansprechendes Stück nicht bis zum Ende anschauen wollte. Weitere Menschen folgten. Ich blickte zur Garderobe und war erstaunt, als ich eine lange Schlange erkannte, die sich ihre Mäntel und Jacken an der Theke abholten.
Als die Pause zu Ende war und ich mich wieder auf meinen Sitzplatz zu bewegte, stellte ich fest, dass das Theater, das ursprünglich ausverkauft, nun nur noch bis ungefähr zur Hälfte gefüllt war. Und der Großteil des Rests des Publikums murmelte und störte weiter. Es kamen Fragen auf wie ’Warum ist auf dem Bild eine Fratze zu sehen?‘, ‚Wie hängt die Fratze mit Dorian und seinem Verhalten zusammen?‘ oder ‚Was wollte uns der Autor mit diesem langweiligen Werk sagen?‘ Das Publikum war allen Ernstes nicht in der Lage, die Mystik dieses genialen Stücks zu erkennen?
Ich könnte euch das Stück oder die romantische Literaturepoche erklären, tue es aber nicht, weil euch das nichts bringen würde. Ihr versteht den Kern des Ganzen nicht mehr. Hallo ihr lieben Leute, die Romantik war quasi eine deutsche, eine unserer stärksten Literaturepochen. Ihr seid die Nachfahren von Dichtern und Denkern. Wann habt ihr die Bühne des Begreifens verlassen? Habt ihr verlernt, euch auf anspruchsvolle Literatur einzulassen, ihre Sprache zu verstehen? Bringt es unsere moderne Zeit mit sich, dass ihr nur noch einfache Kost zu euch nehmt? Literatur-Burger? Fast Food-Komödien? Kann es sein, dass ihr euren Anspruch an großes Theater so heruntergeschraubt habt, dass ihr euch fehl am Platz fühlt, mit tiefgründigen Texten konfrontiert zu werden?
Ich erschrecke vor dieser Entwicklung, die ich auch in der Musik beobachte. Unser künstlerischer Anspruch triftet ab in die Bedeutungslosigkeit. Ich weiß nicht, wie ich diese Entwicklung aufhalten kann.
Clustern Sie über der Bedeutungslosigkeit von Kunst und schreiben Sie einen Text oder ein Gedicht dazu.
Vielleicht finden Sie einen Ansatz, der uns aus diesem Dilemma führt. Lassen Sie es mich wissen.