…auf einem Bein…
Neulich, genauer gesagt vor drei Tagen, spazierte ich bei 25°C Plus durch einen sehr trockenen Laubwald. Nach diesem heißen Sommer hatte ich Sehnsucht nach einer Temperaturwende, die der Oktober mir bringen konnte. Erstaunt schaute ich mich nach Anzeichen eines eingezogenen Herbstes um, konnte aber keine nennenswerten Ver-färbungen der Blätter entdecken. Wo er gelb, rot, braun sein sollte, war er überwiegend GRÜN. Vereinzelt färbten sich Blätter gelb, erinnerten aber immer noch an einen Spätsommerwald. Doch der Kalender bescheinigte mir schon einen Monat Herbst.
Als ich nun so stromerte, die geschotterten Wege verlies und mich Richtung Moor begab, erblickte ich drei Fliegenpilze.
Sofort kam mir das Kinderlied in den Sinn:
Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem purpurroten Mäntelein.
Weiter kannte ich den Text nicht mehr. Aber klitzeklar war, dass hier der Fliegenpilz besungen wurde. Wie hatte ich das kleine Lied geliebt, es gefühlt Millionen mal gesungen. Damals.
Als ich wieder zuhause war, stieg ich ins Internet ein, um mir den weiteren Verlauf des Liedchens anzeigen zu lassen.
Das Männlein steht im Walde auf einem Bein
Und hat auf seinem Haupte schwarz Käpplein klein,
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem kleinen schwarzen Käppelein?
Wie mich vorhin der nicht vorhandene Herbstwald irritiert hatte, brachte mich nun das schwarze Käppelein auf meinem Fliegenpilz etwas aus dem Konzept. War der Pilz von einer Raupe befallen worden? Das konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen. Neugierig las ich den Liedertext zu Ende.
gesprochen:
Das Männlein dort auf einem Bein
Mit seinem roten Mäntelein
Und seinem schwarzen Käppelein
Kann nur die Hagebutte sein.
Nun musste ich lachen. Wie? Eine Hagebutte? Kein Fliegenpilz? Langsam dämmerte mir, dass nicht der Fliegenpilz besungen wurde, sondern die Hagebutte. Und plötzlich fühlte ich mich reingelegt. Seit meiner frühen Kindheit war mir klar, dass ich ein Lied über und auf den Fliegenpilz sang. Die Hagebutte war nie Thema der Betrachtungen über das purpurfarbene Mäntelein gewesen.
Hatte man mich damals in meinem kindlichen Fliegenpilz-Glauben gelassen, einfach, weil es bequemer war, mich über den Sinn des Liedes nicht aufklären zu müssen? War ich denn in meiner Kindheit von meinen Eltern hinters Licht geführt worden? Weil ich mit meiner Fragerei genervt hatte? Dieses Thema musste ich dringend mit den beiden klären, dachte kurz darüber nach und meldete mich zu einem Besuch an.
Als wir uns gegenüber saßen, sang ich ihnen das kleine Liedchen vor, aber nur die erste Strophe.
"Und, über was singe ich?", fragte ich die Mama.
"Über einen Fliegenpilz", antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. Papa nickte zustimmend.
"Seid ihr euch sicher?", grinste ich und musterte die beiden. Bei den treuen ehrlichen Blicken musste ich wiederum lachen. Auch diese Generation war anscheinend angeschmiert worden.
Ich sang und sprach das Lied zu Ende und sie reagierten wie ich, irritiert. Hier saßen zwei Generationen ANGESCHMIERTER, Reingelegter. Aber im Gegensatz zu mir dachten die beiden nicht weiter darüber nach, dass sie über ein halbes Jahrhundert auf dem falschen Dampfer gewesen waren. Vielleicht wusste auch die Generation vor ihnen es nicht besser.
Und plötzlich erinnerte ich mich an eine süße Geschichte mit meiner Nichte Laura, als sie ungefähr drei Jahre alt war. Wir knieten auf der Wohnzimmercouch meiner Eltern, sahen aus dem Fenster und entdeckten ein Flugzeug, dem wir nachsahen und das einen Kondensstreifen hinter sich her zog. Laura deutete mit dem Zeigefinger in den Himmel: "Schau, Tante Ul, dort fliegt der Sandmann". Total gerührt lies ich sie in diesem wunderschön kindlich naiven Glauben. Wer war die Person, die sie aufklärte und ihre kleine Welt ins Wanken brachte? Ich war es auf alle Fälle nicht.
Können Sie sich noch daran erinnern, mit so einer Geschichte aufgewachsen zu sein? Vielleicht mit dem Osterhasen? Oder dem Christkind? Wer hat Ihnen erklärt, dass Sie mit Ihrer Einbildung auf dem Holzweg sind? Oder Sie in einem Fliegenpilz-Glauben gelassen hat, obwohl eine Hagebutte gemeint war? Wurden Sie auch schon einmal angeschmiert?
Erstellen Sie ein kleines Cluster. Nehmen Sie sich als Kernwort REINGELEGT und assoziieren Sie.
Schreiben Sie anschließend eine kurze Geschichte oder ein kleines Gedicht darüber.