...oder Das Universum der Geschichten
Seit meiner Kindheit sammle ich Steine. Zuerst waren es schöne Kiesel, die meine Fantasie anregten, mich zum Träumen inspirierten, dann kamen Heilsteine dazu. Lapislazuli, Amethyst, Rosenquarz, Schörl, Granat.
Irgendwann bemerkte ich, dass meine Steine sprechen konnten. Leise, aber ich hörte sie. Sie murmelten mich an. Mit der Zeit lernte ich, ihre Sprache zu verstehen. Sie sind alt und haben eine Menge Geschichten parat. Sie haben viele Eindrücke gesammelt, lange, bevor es Menschen gab, und sie werden noch auf Erden sein, wenn keine Lebewesen mehr existieren.
Der erste Stein, dessen Stimme ich vernahm, war ein Bernstein. Ich hatte ihn vor vielen Jahren, als ich an der Ostsee Urlaub gemacht hatte, gekauft. Ich kann mich noch an den kleinen Laden erinnern. Am Weststrand von Kühlungsborn befand er sich. Mein Bernstein lag in einem Regal. Blickte mich mit seinem honigfarbenen Gesicht an und zwinkerte mir mit seinen kleinen Einschlüssen zu: „Nimm mich“. Und ich verstand und kaufte ihn. Als ich ihn zu Hause vor eine Kerzenflamme hielt, begann er zu plaudern. Über die Ostsee, über frühere Zeiten, über den Geisterwald, Vineta, deren Bewohner. Er führte mich in eine Welt, die von längst verstorbenen Tieren bevölkert war, tauchte mich ins salzige Wasser ein und lies mich mit Fischen spielen. Fasziniert von der Sprache des Bernsteins nahm ich meine anderen Steine aus meiner
„Steinschatulle“. Einen nach dem anderen hielt ich sie entweder in der Hand, schloss
die Augen, erfühlte ihre Stimmen und verstand, oder ich hielt sie vor eine
Kerzenflamme und erkannte unzählige Bilder in ihnen. Alle hatten eines gemeinsam: Sie redeten und ich hörte ihnen zu.
Vor zwei Tagen kaufte ich mir eine Bergkristallkugel. Schon lange wollte ich eine solche für meine Steinsammlung haben. Sie ist groß, passt in meine Hand. Ihre Oberfläche ist glatt und kühl. Sie ist stellenweise klar, stellenweise milchig trüb. Risse durchziehen sie und teilen sie in unterschiedliche Kammern ein. Ein wahres Labyrinth von gespeicherten Ereignissen. Auf einem Parkplatz, noch nicht zuhause, hielt ich sie ein erstes Mal der Sonne entgegen und blickte in ihr Inneres. Ich sah unzählige Welten, die mich zu Geschichten führten. Ich erkannte, dass sie ein Tor in andere Zeiten ist. Unbekannte Wege, Räume zeigt mir der Stein. Saugt mich ein, lässt mich an seinen Geheimnissen Teil haben, die er über Hunderttausende von Jahren angesammelt hat. Er, bzw. die Kugel ist meine Zeitmaschine, die ich zu steuern erlerne.
Probieren Sie es doch auch einmal.
- Kaufen Sie sich einen Stein, der nicht rein ist, sondern Einschlüsse, Risse hat.
- Schaffen Sie sich eine inspirierende Atmosphäre, vielleicht versprühen Sie etwas Raumduft, zünden eine Duftkerze an oder stellen eine Duftlampe auf.
- Halten Sie nun den Stein in eine Kerzenflamme, oder den Vollmond.
- Lassen Sie sich auf seine Sprache ein.
Wohin könnte Ihre Reise gehen?
Schreiben Sie alles auf, was Sie verstehen, wirklich alles. Sollte das, was Sie vernehmen, Ihnen peinlich sein, schreiben Sie trotzdem weiter. Alles ist richtig, alles ist erlaubt, was Sie vernehmen. Es entsteht aus Ihrer Beziehung zu Ihrem Stein.